15.09.2017 — 20:30

FUCK ART, LET'S DANCE LIVE IN DER HANSEPLATTE

Endlich mal gute News: Indie-Rock lebt und ist wohlauf! Er ist zwar vielleicht nicht mehr so unbedarft wie früher, aber zu diesen elf Tracks tanzen wir gerne zusammen mit FUCK ART, LET’S DANCE! in den Untergang. Das zweite Album der Hamburger Band „FORWARD! FUTURE!“ erscheint am 15.09.2017. So wie man es von den unzähligen Liveauftritten der Band kennt, ist das hier kein Ladida-Pop, sondern alles-mitreißender- Math-y-angehauchter-Garage-Indie-Rock, dessen Wurzeln vielleicht irgendwo zwischen Foals, Bloc Party und den Strokes liegen.
Die Band hat es geschafft, ihre größte Stärken auf Vinyl zu ritzen: Ihren Spieltrieb und eine Liveenergie, die so filigran und dabei bedrohlich ist, wie ein tänzelnder Boxer. Dabei spielt man Platten heutzutage eigentlich nicht mehr live ein. Und schon gar nicht auf Tonband. Das ist wahnwitzig. Wofür hat Gott den Computer erschaffen? FUCK ART, LET’S DANCE! sind im Clouds Hill Studio gemeinsam mit Johann Scheerer das Wagnis eingegangen, das Album in kurzer Zeit live einzuspielen. Viele Bands haben sich bei diesem Versuch schon eine blutige Nase geholt. FUCK ART, LET’S DANCE! haben das nicht, sie haben sich die Bedrohung eingeladen, sie umarmt und sich mit ihr angefreundet.
Sie sind Arm in Arm mit der Finsternis der Angst gegangen und haben sie in Worten und Tönen auf das Band gebracht. Manchmal macht es keinen Unterschied, ob ein Album live eingespielt ist, hier schon. Man spürt die Wucht, die Wut, das Taumeln, die Schönheit und die Gewalt. Man kann sich die Gesichter denken. Die Gesichter von Nico Cham, Romeo Sfendules, Tim Hansen und Damian Palm, wie sie sich gegenüberstehen, mit Schweiß auf der Stirn, zwischen Verbissenheit und Euphorie. Man atmet den heißen Rauch und den kalten. Man wird selbst zum letzten Tänzer nach der Straßenschlacht, der auch das Cover ziert.
Gleich zu Anfang erinnert uns die Band im Titeltrack daran, dass Indie nicht immer fröhlich sein muss und beschwört eine Dystopie, die unserer aktuellen Lebenssituation leider nicht so fremd ist, wie man sich wünscht. Der rote Faden des Albums ist ein schweres Herz und wenn man Sänger Nico zuhört, erschließt sich der nihilistische
Hedonismus als einzig logische Konsequenz. Fuck this, let’s dance!
Die erste Single „Übersleep“ ist getrieben von Tims charakteristisch harten Drums und Damians subtil aufwühlenden Bassläufen und handelt von der Ambivalenz des absoluten Hochs und der darauffolgenden Talfahrt des körperlichen und psychischen Wohlbefindens. Das staccatoartige Gitarrenspiel und schnelle Tempo erzeugen genau die Hektik und Paranoia, welche sich nach ein paar durchgefeierten Nächten und durchgearbeiteten Tagen einstellen. Einzig Romeos Gitarrenlead erinnert uns daran, dass Übermüdung auch schöne Seite hat, und dass einen der Schlafmangel wie losgelöst durch den Alltag gleiten lässt.
In der Mitte des Albums bewegen wir uns thematisch zwischen den guten Fehlern, die uns wachsen lassen („Trial & Error“), und den schlechten Fehlern, die uns zurückhalten („Vicious Circle“). Der repetitive Chorus gegen Ende von „Vicious Circle“ lässt einen nicht mehr los und fasst dabei das ganze Album zusammen: „When I go I’m going under...“
Über die bittersüße Indie-Disco-Tanz-Hymne „All We Need“ und den gesellschaftskritischen Math-Sucht-Song „Menthol“ nähern wir uns den langsameren und epischeren Titeln. „We Expect the Dawn“ hat eine solche Macht, dass sich der Schädel beim Hören ausweitet und der Kopf zur Größe einer Kirche anschwillt. Im allerletzten Track „These Dreams Promised in Our Early Days“ huldigt die Band der Rockmusik und verzichtet dabei auf Vocals und Lyrics.
Insgesamt scheint die Musik auf FORWARD! FUTURE! sich gegen sich selbst aufzulehnen. Man will der Trauer lauschen, der Verzweiflung, den kalten, offenen Räumen, aber dann bewegen sich die Beine wie von selbst. Die treibenden Gitarren und die pulsierende Elektronik tragen uns durch den "devastating progress of future", wie Nico Cham im Titelsong singt. Leichter war Schwere nur selten.
Denn die Kunst ist nicht genug. Fick alles. Fick den Staat. Fick das Geld. Fick die Angst, die Depression. Fick die Drogen und den bitteren Geschmack im Mund. Fick den Schlaf und die Schlaflosigkeit. Fick die Utopie und die Dystopie. Fick alles. Fick die Welt. Lass uns tanzen. Im Rauch und im Feuer und bevor uns die Stiefel ins Gesicht treten. Aber noch tanzen wir.